24.07.2019, von Ulrich G. W. Harmssen
Harmssen sagt… Machen Nachrichten die Kurse, oder umgekehrt?
Als Anfang Februar 2018 – ausgehend von den USA – die Aktienmärkte ins Rutschen kamen, mussten schnellstens Erklärungen her. Denn nichts hassen Börsianer mehr als Unsicherheit. Der Bösewicht und Verursacher für die kräftige Abwärtsbewegung war schnell ausgemacht: steigende Renditen der 10-jährigen US-Staatsanleihen.
Diese Erklärung scheint auf den ersten Blick stichhaltig, denn: kann ein Anleger mit Anleihen real (also nach Abzug der Inflation) einen vernünftigen Gewinn erzielen, wird er es sich dreimal überlegen, ob er zugunsten einer möglicherweise höheren Rendite das höhere Risiko mit Aktien eingehen will, oder eben nicht.
Steigen also Renditen von Staatsanleihen, werden diese attraktiver; umgekehrt nimmt gleichzeitig die Attraktivität von Aktien ab.
Insofern kann man vermeintlich sichere Anleihen denn auch als „natürliche“ Antagonisten zu Aktien verstehen. So weit, so gut.
Nun stehen aktuell (Juli 2019) also die 10-jährigen Treasuries (US-Staatsanleihen) in der Rendite bei gut 2,1%, nachdem sie zuletzt im Oktober 2018 ein Hoch von 3,15% erreichten. Und? Die Entwicklung mittelfristig steigender Renditen dieser Papiere ist eigentlich ein alter Hut; sie begann im Juli 2016 (damals rentierte diese Gattung der Wertpapiere bei 1,45% und stieg in wenigen Monaten scharf an auf 2,45%). Ein Anstieg in wenigen Monaten um 1%.
Das hat damals niemanden hinter dem Ofen hervorgeholt – und schon gar nicht war dies das Signal für Kommentatoren, vor Aktien zu warnen.
Geht man noch ein bisschen weiter zurück, stellt man erstaunt fest, dass die Rendite dieser Papiere im Dezember 2013 schon einmal knapp über 3% lag, nachdem sie noch im August 2012 bei 1,55% lag. Also annähernd eine Verdopplung! Und? Auch damals gab es keinen medialen Sturm der Befürchtungen.
Kein Wunder: Anfang August 2012 notierte der S&P 500 bei 1.380 Punkten und zog bis Dezember 2013 – wie an der Schnur gezogen und scheinbar unaufhaltsam – bis auf 1.850 Punkte, ein Zuwachs um gute 34%.
Merke: nicht nur agieren viele Anleger leider zyklisch – sie kaufen bei hohen Kursen und verkaufen in der Schwäche. Nein, auch die Berichterstattung und Kommentare der Analysten passen sich nur zu oft dem gerade vorherrschenden Trend an den Aktienmärkten an.
Gehen Börsen scheinbar ungebrochen nach oben, erschöpfen sich viele Kommentare darin, Gründe aufzuführen, warum die Rallye weitergehen könnte. Geht es hingegen mal nach unten, werden auch dafür Gründe gesucht. Und man wird fündig, welch Überraschung!
Denn: es ist eine Binsenweisheit, dass sich zu jedem Zeitpunkt an den Börsen gute Gründe dafür finden lassen, wieso es wohl nach oben, oder auch nach unten gehen könnte. Es ist m.E. deshalb sehr hilfreich, sich immer wieder klar zu machen, dass es oftmals nicht die Nachrichten sind, die die Kurse machen, sondern die Kurse selbst, die die Nachrichten machen.
Der erste Kommentator beginnt damit, sich eine scheinbar rationale Begründung für einen überraschenden Kursanstieg bzw. Kursverfall zu suchen. In Zeiten von Social Media ist der Rest dann nur noch Copy und Paste.
Merke: der Anleger mit Weitblick investiert natürlich antizyklisch und lässt sich von den üblichen Sensationsmeldungen nicht aufschrecken, sondern fährt eine gut informierte Langzeitstrategie.
Quelle: Apella Fachmagazin 01.2018
Schlagwörter: Anleger Antizyklisch Vermögensverwaltung
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